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Gefährliche Pfade (Der Fluch) von Ardela Galis

Kapitel 1

Es war schon spät und die Bücherei der Akademie war leer.
Alle waren schon gegangen, nur Ardela sass noch, über einen der dicken Folianten gebeugt, und war ganz in die Zeilen vertieft. Die Flamme der, schon weit herabgebrannten, Kerze warf zuckende, gespenstische Schatten in den Winkel weit hinten in der Bücherei in den sich die junge Frau meist zurückzog, um ihre Ruhe zu haben.
Ardelas Kopf hob sich, leise murmelte sie etwas vor sich hin, sie erhob sich und ging die Regalreihen ab, den Finger über die dieversen Buchrücken gleiten lassend, auf der Suche. Plötzlich hielt sie in der Bewegung inne, zog ein reichlich schmales Büchlein aus dem Regal, lehnte sich, schon darin blätternd, gegen das Holz und erschrak, als dieses sich scheints hinter ihr bewegte.
Schnell drückte sich Ardela ab, wirbelte herum und traute ihren Augen kaum. Das Regal glitt in die Wand, an der es stand, ein Stück hinein, drehte sich zur Seite und gab nicht mehr als ein dunkles Loch preis. Ihre Hand wanderte zum Tisch, an welchem sie zuvor gesessen hatte und neben dem sie nun stand, griff den Kerzenleuchter und hob ihn an, dem Loch entgegen, wärend sie ein, zwei Schritte zögernd darauf zutat.
Im kleinen Lichtkreis der Flamme ward ein Raum zu erkennen, noch ein Schritt, ein grosser, schwerer Tisch mit vielen Utensilien darauf, noch konnte sie nicht erkennen was das alles war. Noch ein Schritt, die Hand mit dem Kerzenhalter hob sie noch ein wenig weiter an, und unter dem gelblichen Licht erkannte sie nun auch ein Bücherregal, Wandteppiche mit seltsamen, verschlungenen Mustern und Runen darauf, die sie noch nie gesehen hatte. Es roch nach alten Papier und abgestandener Luft, es musste ewig her gewesen sein, als das letzte mal jemand diesen Raum betreten hatte, doch seltsamerweise gab es nur wenig Staub und Spinnenweben. Etwas in ihr warnte sie, doch die Neugier schob all diese Gefühle in ihrem Bauch, die sie so drängten besser zu gehen, beiseite. War es wirklich nur Neugier welche sie vom Gehen abhielt? Schritt um Schritt ging sie in dem kleinen Raum umher, betrachtete alles genau, die schwarzen Kerzen auf den Wandhaltern und auf dem wuchtigen Schreibtisch, die Runen, welche ihr gänzlich fremd vorkahmen, und nicht nur die Wandteppiche zierten, sondern auch ein Mosaik das kunstvoll in den Boden eingelegt war und ein Symbol darstellten, welches Ardela noch nie zuvor gesehen hatte.
Jegliches Zeitgefühl ward verloren dieser Raum schien seine eigene Zeit zu haben, welche die innere Uhr Ardelas mächtig durcheinander brachte.
Auf dem Tisch standen mehrere Glaskolben und Phiolen mit seltsam anmutendem Inhalt, eine Brille lag da, eines der Gläser zerbrochen, eine Weinflasche, deren Inhalt wohl im Laufe der Zeit längst verdunstet war, denn der Korken war nur leicht aufgedrückt und das Weinglas stand noch daneben, darin ein dunkelroter, eingetrockneter Rand. Eine Lupe und ein edel verziertes Kästchen, mit feinsten Einlegarbeiten beherbergte ein Tintenfässchen, zwei Federkiele, ein güldnes Döschen mit Löschsand, eine schon angeschmolzene Stange Siegelwachs, aber kein Siegel. All jenes in so erlesener Quallität und Schönheit, dass es Ardela kaum wunderte, daneben dickes, teuerstes Pergament auf einem Stapel liegen zu sehen.
Als jedoch ihre Fingerspitzen über das Pergament glitten, zerbrach das oberste Pergamentblatt unter der zarten Berühung ihrer Fingerkuppen.
Doch dann, sie war sich nicht sicher ob es schon die ganze Zeit dort gelegen hatte, fiel ihr Blick auf einen schweren Folianten der inmitten all der Dinge auf der Tischplatte lag. Das Leder des Einbandes war tief schwarz, geprägt mit Buchstaben die sie nicht entziffern konnte, geschlossen mit einer breiten Lederschlaufe, an deren Ende ein Mechanismus in den güldenen Aufsatz in der Mitte des Buchdeckels griff, so, dass es aussah als würden zwei Dämonen einander jagen und einer dem anderen in den Schwanz beissen. Seitlich war ein kleines Schlüsselloch, das Ardela beinahe übersehen hätte.
Doch wo war der Schlüssel?

Kapitel 2

Ardela war in den Stuhl gesunken, hatte zwei der schwarzen Kerzen auf dem Tisch entzunden, da ihre mitgebrachte schon fast gänzlich abgebrannt war. Der Tisch, so hatte sie inzwischen entdeckt, hatte zwei schwere Schubladen, eine zur Rechten, eine zur Linken. Die junge Frau zog vorsichtig die Rechte auf, ein Berg an dunkelroten Mappen stapelte sich darin, sie sah nicht nach ob jene irgendwelche Schriftstücke enthielten. Irgendetwas in ihr hatte sie ergriffen und sie merkte es nicht einmal, sie wollte diesen Schlüssel, nichts anderes war mehr wichtig in diesem Moment. Und als sie die linke Lade aufzog wusste sie sofort, dass sie gefunden hatte wonach sie suchte.
Ganz oben auf lag ein schmaler, kunstvoll gearbeiteter, kleiner goldener Schlüssel. Sie nahm ihn heraus und wollte ihn schon zu dem Schloss am Buch führen, als zum ersten mal ihr klarer Verstand wieder begann zu ihr durchzudringen.
Sie sollte das nicht tun.

Unsicher blickte Ardela auf den Folianten, dann auf den Schlüssel und sie lies die Hand in den Schoss sinken, lehnte sich in dem riesigen Sitzmöbel zurück und starrte auf das Buch. Vielleicht waren darin Antworten, Antworten auf all die Fragen die in ihr schlummerten, die sie nicht formulieren konnte, die sie aber dazu brachten, allabendlich Bücher zu wälzen, bis spät in die Nacht hinein, als, wie andere junge Frauen, das Leben einfach ein wenig zu leben. Vielleicht hatte sie hier etwas wichtiges entdeckt. Sie konnte nicht anders, sie wusste wenn sie es jetzt nicht täte, so würde sie wieder kommen und es dann tun und so schob sie den Schlüssel in das Schloss. Er lies sich so leicht drehen, keinen Wiederstand gab das Schloss, als die beiden Dämonen einander los liesen und der Mechanismus förmlich auseinanderglitt. Der Buchdeckel war schwer.

Es musste bereits Mittag sein, als ein Sonnenstrahl bis zu ihrem Bett gekrochen war, sie an der Nase kitzelte, so dass ihr eigenes Niessen Ardela weckte. Es dauerte eine ganze Weile, in der sie die Augen nicht öffnete, bis ihr wieder einfiel, wann und wie sie in ihr Bett gekommen war, doch dann fuhr sie in die Höhe und ihr Blick richtete sich sofort, hellwach auf ihren Tisch. Da lag es, sie hatte es tatsächlich getan, es war kein Traum gewesen. Das schwarze Buch, aus der verborgenen Kammer hinter dem Bücherregal, lag da auf ihrem Tisch und ein beruhigtes Lächeln glitt über ihre Lippen.
Darüber nachzudenken, welche Angst sie einen Moment lang verspürt hatte, es könne nicht da sein, oder alles nur ein Traum gewesen sein, war mit dem Anblick des Buches schon wieder vergessen.


Ardela konnte es kaum erwarten und dennoch zwang sie sich zuerst, wie jeden Morgen, im Meer zu schwimmen, danach ein Bad zu nehmen und ein leichtes Frühstück zuzubereiten und einzunehmen.
Doch immer wenn sie an ihrem Tisch vorbei kam fiel ihr Blick auf das Buch.
Nun sass sie wieder vor dem Folianten, schlug den schweren Buchdeckel auf und die erste Seite um, welche Leer war. Die nächste Seite war feinsäuberlich mit geschwungenen wunderschönen Zeichen oder Buchstaben beschrieben, doch wollte sich ihr einfach nicht eröffnen was sie bedeuteten. Stunde um Stunde sass sie da, blätterte Seite um Seite um und betrachtete die Schrift und die Zeichnungen. Sie hatte keine ahnung wieviel Zeit vergangen war, sie lehnte sich zurück und spürte erst jetzt wie verspannt sie war. Der Nacken schmerzte und sie war kaum im stande den Kopf zu bewegen, ohne, dass es einen schmerzhaften Stich im Nacken tat. Ebenso schmerze ihr Rücken.
Mit einem tiefen Seufzen schlug sie das Buch zu und warf einen finsteren Blick darauf, als könne der Wälzer etwas dafür, dass sie seinen Inhalt nicht entziffern konnte.

Mitten in der Nacht schob sie die Beine aus dem Bett, sie war aufgewacht, wusste aber nicht recht warum, das dünne Nachthemd umschmeichelte ihren Leib. Es war kalt im Raum, ungewöhnlich kalt, und obwohl keine Kerze brannte, konnte sie recht gut sehen. Ardela griff nach einer kleinen Wolldecke und legte sie sich um die Schultern, doch da ward ihr Blick schon eingefangen. Von ihrem Tisch ging ein kaltes bläuliches Licht aus, es war eher wie schwach leuchtender Nebel. Mit blossen Füssen ging sie hinüber, die Kälte im unteren Geschoss ihres Hauses nahm sie nicht mehr wahr.
Ihr Blick wanderte über den Buchdeckel und wärend sie auf die fremdartigen Zeichen schaute wandelten diese sich plötzlich zu lesbaren Buchstaben. Sie konnte kaum glauben was sie da sah! Es war ihr Namen, in blutroten Lettern stand dort „Ardela Galis“. Mit der rechten Hand kniff sie sich fest in den linken Oberarm und zuckte zusammen als der Schmerz sie durchfuhr. Langsam lies sie sich auf den Stuhl sinken, und schlug das Buch mit, vor Aufregung und Spannung, zitternden Fingern auf.
Und erst als der Morgen graute verschwammen die Buchstaben wieder zur Unleserlichkeit. Ardela indess hatte sich einige Notizen gemacht, es gab einiges zu besorgen, doch zuvor wollte sie noch ein wenig schlafen.

Der blaue Fleck auf ihrem Oberarm war es der Ardela bezeugte, dass sie es nicht nur geträumt hatte und auch das Pergamentstück, auf dem sie ihre Notizen gemacht hatte, lag noch da. Ihre morgendlichen Gewohnheiten reduzierten sich heute auf eine rasche Katzenwäsche, einen Kanten Brot mit Käse auf der Hand und einem Apfel vom Baum vor dem Haus.
Sie hatte beschlossen zur Stadt zu laufen, es wäre ein schöner Spaziergang und sie hätte ein wenig Gelegenheit nachzudenken.
Sie hatte den Marktplatz grade erreicht und stöberte ein wenig durch die Auslagen, als sie mitbekam wie zwei Frauen sich unterhielten. Die eine erzählte der anderen von einer Doppelhochzeit der beiden Grendarfmädchen und Ardela stockte der Atem. Weiter tat sie so als würde sie sich die Sachen ansehen welche die Händler feil boten, blieb dabei aber immer in Höhrweite der beiden Frauen und erfuhr so, dass es tatsächlich Thauron war, der nun diese verlogene Ehe einging, das andere Paar interessierte sie nicht.
Wieder ein gebrochenes Versprechen!

Kapitel 3

Liebe und Hass, so sagte man, lägen sehr nahe beieinander. Ardela wusste es nun besser, Hass konnte ohne Liebe nicht existieren.
Und sie hasste, hasste mit der gleichen Leidenschaft wie sie liebte und beide Gefühle, so wiedersprüchlich sie auch schienen, galten der selben Person. Thauron.

Ob dies der Grund war für den Feuereifer mit dem sie nun Nacht für Nacht das Buch studierte, oder die enorme Anziehung die der Foliant auf sie auswirkte waren ihr egal, sie sog das Wissen förmlich auf, wie ein trockener Schwamm eine Wasserpfütze.
Seltsame Dinge gingen vor sich im Untergeschoss ihres Hauses und keiner bekam etwas mit. Wer auch? Ardela lebte einsam, nie kam jemand zu besuch, selbst ihre Nachbarin Kassandra hatte sie seit Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Es gab eine Zeit da wollte sie es so und war froh darum, doch die letzten Wochen der Einsamkeit hatten ihr nicht gut getan. Die Leute hatten sich daran gewöhnt, dass sie sich zurück gezogen hatte, aber Ardela selbst auch. Sie schaffte es nur schwer mit jemandem in Kontakt zu kommen.
Seit sie aber das Buch hatte, hatte sie einen „Freund“, es schien manchmal gar so, als wisse das Buch genau was sie wollte und gab ihrem Geist Nahrung, immer wieder und auf immer neue Weise.

Das Pergament


Verflucht seist du!
An deinen Händen klebe Blut!
Verflucht seist du!
Von nun an finde keine Ruh!
Verflucht seist du!
Und ewig dein Gedenken an mich!
Verflucht seist du!
Angst und Sorge
beschwöre ich auf dich herab!
Verflucht seist du!
Dein Haus soll vom Unglück verzehrt werden
und deine Kinder sollen dich hassen!
Verflucht seist du!
Deinen Feinden soll es wohlergehen,
wärend du den Verstand verlierst!
Verflucht seist du!
Erlöst sei nur durch mich!
Sieben mal Verflucht!
Und kein Gott möge dir helfen!


Der Raum war in zaghaftes Licht einer einzelnen Kerze getaucht. Die Fenster, verhangen von schweren dunkelroten Vorhängen, verbargen für die Aussenwelt die vorgänge im inneren. Nackt kniete sie im Zentrum eines Pentagramms, welches sich schwarz vom Boden abhob.
Sie trug das Pergament bei sich.
Ardela hatte sich selbst belogen, über Wochen, geglaubt, es würde sich alles wieder ändern, so werden wie es früher war.
Neben ihr auf dem Boden lag ein Ritualdolch, vor ihr die Kräuter die sie brauchen würde, zu feinem Staub zermalen in kleinen Schälchen, an jeder Spitze des Pentagramms stand eine schwarze Kerze, welche sie erst im Laufe des Rituals entzünden würde.
Leises murmeln von Worten wabberte durch den Raum, kaum laut genug um noch am äusseren Rande des Pentagramms verstanden zu werden, doch als leises Singsang im ganzen Zimmer zu hören. Mit geschlossenen Augen kniete Ardela da, wog sich sacht hin und her, schien ganz in Trance versunken, als ihre Hand irgendwann nach dem Ritualdolch griff, ohne hinzusehen hob sie die Hand und schnitt sich in den Daumenballen.
Dunkelrot wie die Vorhänge des Zimmers quoll das Blut hervor, den Arm ausgestreckt liess sie wenige Tropfen auf die erste Kerze fallen und sprach dabei die Worte:
„Mein Blut besiegle mein Wort!“
Die Kerze entflammte.
„Das Blut soll meine Worte binden!“, die zweite Kerze wurde von ihrem Blut beträufelt und auch diese entflammte, kam dass die Worte ausgesprochen waren.
„Mein Blut besiegle mein Wort!“, über die dritte Kerze rann ein tropfen Blut und auch diese entflammte, Blutrot loderte die kleine Flamme auf.
„Das Blut soll meine Worte binden!“, die vierte Kerze flackerte auf.
Je mehr der Kerzen entflammten, desto dunkler wurde es in dem geräumigen Zimmer, gar so als würden die schwarzen Kerzen kein Licht spenden, sondern es aus dem Raum abziehen und alleine der innere Kreis des Pentagramms wurde erhellt.
Die fünfte und letzte Kerze, an der oberen Spitze des Pentagramms flammte auf, als Ardela das Blut ihrer Hand daraufträufelte und sprach: „Besiegelt sei der Pakt mit meinem Leben!“, mit dem Zeigefinger der freien Hand fieng sie die Träne auf, welche über ihre Wange lief und lies sie ebenso auf die letzte Kerze fallen.
Die Wunde in ihrer Handfläche schloss sich wie von selbst, kein weiterer tropfen Blut floss mehr.
Ardela öffnete die Augen, griff nach den gemalenen Kräutern, eines nach dem anderen, Schwarzperle, lies sie auf den äusseren Ring des Pentagramms rieseln, peinlichgenau darauf achtend, dass keine Lücke übrig blieb.
Nachtschatten rieselte langsam und vorsichtig auf das innere Fünfeck des Symboles herab. Auch hier lies sie sich alle Zeit die nötig war um peinlich genau zu sein, ehe sie mit Blutmoos die Spitzen des Pentagramms nachzog.
Die junge Frau erhob sich von ihrem Platz und sprach die Abschliessenden Worte des Rituals: „Unaufhaltsam bricht am Ende was einst Leben war!“
Im inneres des Zimmers toste ein Sturm auf, wirbelte um die zarte Gestallt, aber rührte sie nicht an, nahm alles um sie herum mit. Verwischte ihre Sicht, trocknete die Tränen. Sie warf den Kopf in den Nacken, ihr Haar wurde vom Wind um ihren Kopf gepeitscht, die Arme erhoben, zur Decke gestreckt wiederholte sie die letzte Formel, der Sturm flaute ab, das Zimmer lag ruhig da, die einzelne Kerze spendete weiter ihr warmes zaghaftes Licht.
Zitternd sah Ardela sich um, zitternd vor Erschöpung, der Sturm der eben noch um sie tobte hatte das Zimmer nicht angetastet, genausowenig wie er Ardela angetastet hatte, er hatte das Pentagramm, die schwarzen Kerzen und alles was zum Ritual gehörte mitgenommen, bis auf den Dolch und das Pergament. Der Dolch lag unberührt zu ihren Füssen auf dem Boden, sie brauchte ihn noch. Das Pergament schien noch genauso wie zuvor, doch die Worte die sie darauf geschrieben hatte verblassten zusehens und schon nach wenigen Minuten ward nichts mehr davon zu sehen.
Langsam bückte sie sich nach dem unscheinbaren Messer, hob es auf und ging in den Hinteren Teil des Raumes. Sie legte den Dolch in seine Schatulle zurück und sank erschöpft ins Bett.

Kapitel 4

Bemitleidenswert, das war also aus ihr geworden.
Der Abend in der Stadt, der eigentlich etwas abwechslung in ihr einsames Leben bringen, ihr ein wenig gut tun sollte, hatte das genaue Gegenteil bewirkt. Sie sollte besser zuhause bleiben.
Es war schon beinahe Mittag, Ardela hatte das Bett noch nicht verlassen. Sie lehnte mit dem Rücken am Kopfteil und hatte die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen und starrte auf das Buch, welches mehr als eine Armlänge von ihr entfernt, auf dem weissen Linnen lag.
Was war nun das kleinere Übel? Die Einsamkeit die sie sich auferlegt hatte und in der sie verlernt hatte das amüsante, freundliche, unterhaltsame Mädchen zu sein, Oder diese Blicke voll Mitleid?
Sie hatte es versucht. Auf der einen Seite hatte es sie genossen Gesellschaft zu haben, hatte versucht sich zu unterhalten, wie man es eben so tut, auf der anderen Seite wünschte sie sich, er würde endlich gehen. Es war so mühsam, so ungewohnt.
Ardela hatte in den vergangenen Wochen oft darüber nachgedacht, wieder nach Hause zu reisen, doch nie war ihr so klar, wie am vergangenen Abend, dass es nicht ging.
Wie hätte sie ihren Eltern, so wie sie jetzt war, begegnen sollen, wie es verbergen? Sie kannte ihre Mama nur zu gut, Ardela wusste, dass ihre Mutter sich für den Rest ihres Lebens Vorwürfe machen würde, ihr Kind weggeschickt zu haben, alleine in eine Welt die so anders war, als jene zuhause in ihrem Dorf, ein Mädchen das so naiv war und vom Leben keine Ahnung hatte. Und ihr Vater, unwillkürlich huschte ein Schmunzeln über ihre Lippen, er neigte wie Ardela dazu, sich zu verkriechen wenn ihn etwas bedrückte. Ardela war ihm sehr ähnlich, hatte seine dunkle Haut, die sanften dunkelbraunen Augen und das rabenschwarze Haar, doch auch seine Art mit den Dingen umzugehen, hatte sie von ihm geerbt. Würde er sie verstehen?
Gab es überhaupt jemand der sie verstand?
Ihr Blick wurde kühl, ihre Miene hart. Jetzt fing sie selbst schon an sich zu bemitleiden.
Langsam beugte sie sich vor, griff nach dem dünnen Büchlein und verliess die Ruhestatt, setzte sich an ihren Tisch.
Eigentlich wollte sie am gestrigen abend nach hause und ins Bett, doch dann zog es sie noch einmal in die Bücherei der Akademie. Ardela musste einfach nochmal in den Raum, musste noch etwas daraus holen.
Jetzt öffnete sie die edel verzierte Schatulle, entnahm ihr einen der Federkiele und legte sie neben das Büchlein, hob dann das filigrane, gläserne, mit Gold verzierte Tintenfässchen heraus in dem die schwarze Tinte war, vorsichtig öffnete sie es und griff nach der Feder, wärend die andere Hand das Büchlein aufschlug.
In sauberster Schrift waren die wenigen Zeilen in kurzer Zeit verfasst, etwas von dem Löschsand darüber gesträut und wieder entfernt, das Büchelin in ihrer Tasche verstaut.
Als sie sich zurücklehnte wanderte ihr Blick wieder über die Tischplatte, oben in der rechten Ecke lag der Foliant, mit den Tagen und Nächten die sie nun schon mit den Schriften zugebracht hatte, wusste sie, dass jenes Buch es nicht mochte bei Tage belästigt zu werden. Dieser Gedanke klang seltsam, doch es war so, Ardela schien es, als habe es eine eigene Seele.
So verwehrte das Buch ihr bei Tage die Schrift lesen zu können, unbekannte Zeichen stellte der Inhalt auf den Seiten dar, genauso wie sie einen gewissen Wiederwillen zu spüren glaubte, wenn sie es bei Tage berührte, seis nur, um es woanders hinzulegen.
Genauso wie sie das Gefühl hatte, das Buch würde sich ihr am liebsten in den Weg stellen, so sie Anstalten machte, nach Einbruch der Dunkelheit das Haus zu verlassen. Sie war es immernoch nicht müde darin zu lesen, obwohl sie die Seiten schon einige male durchgelesen hatte. Immer wieder entdeckte sie neues, immer wieder schien eine Zeichnung oder Notiz sich verändert zu haben.
Wieder tauchte sie die Feder in die nachtschwarze Tinte, erneut wurden Worte auf Pergament geschrieben, das Blatt aufgerollt, und zuletzt mit einem dicken Klecks des blutroten Siegelwachses verschlossen, welches sich ebenso in der Schatulle befunden hatte. Kurz wanderte Ardelas Blick durch das Untergeschoss, sie rückte einige Dinge auf ihrem Schreibtisch zur Seite und legte die Rolle genau in die Mitte der Schreibfläche.
War es ihr Entschluss gewesen?
Bis die Rolle versiegelt war und ihren Platz gefunden hatte, war sie sich ihres Vorhabens nicht einmal bewusst gewesen, doch nun schien eine Entscheidung gefallen, unwiederruflich. Und fast etwas wie Erleichterung begann sich in ihr auszubreiten, ein boshaftes Kichern perlte über ihre Lippen, ein Geräusch, welches man nie und nimmer Ardela zugeordnet hätte, wenn man sie kannte.
Ihre Augen richteten sich erneut auf das schwarze Buch, in diesem Moment erloschen die letzten, abendlichen Sonnenstrahlen und im Zimmer wurde es gänzlich dunkel, bis auf den Lichtkegel den die Kerze auf dem Schreibtisch bildete. Und im selben Moment schien es als erwache das Buch zu seinem nächtlichen Leben. Obwohl sich äusserlich nur der Schriftzug zur Leserlichkeit veränderte, so spürte Ardela deutlich, dass das nicht alles war, es war ein Gefühl, als würde man jemandem zuschauen wie er aus tiefem Schlaf erwacht.
Es war alles getan, alles an seinem Ort. Ardela verliess das Haus, zog die Tür leise hinter sich zu und diesmal spürte sie nicht, dass der Foliant sie zurückhalten wollte, ganz im Gegenteil.
Die Bäume und Blumen, Gräser und Pilze veränderten sich vor ihren Augen.
Blätter, eben noch grün und kräftig fielen von den Ästen, ebenso wie die eben noch frischen Früchte nun faul zu Boden fielen, Disteln schoben sich zwischen den Grashalmen hervor, Blumen liessen die Köpfe hängen und verdorrten. Fast kam es Ardela vor, als würde mit ihnen das passieren, was durch Thaurons Handeln mit ihrem Herzen geschehen war. Alles verdorrte. Und noch ehe sie den Garten ganz verlassen hatte, hörte sie aus dem inneren des Hauses das Zerbersten von Gegenständen, Klirren von Glas, Krachen von zerberstendem Holz, Reissen von Stoff, doch sie ging weiter, ohne auch nur einmal zurückzusehen.

Kapitel 5

Sie hörte von der anderen Seite der Lichtung Lachen und Reden.
Seit der späten Nacht harrte sie hier aus, immer wieder den Doch zur Hand nehmend, seine Schärfe prüfend.
Immer wieder rief sie sich Erinnerungen ins Gedächtnis.
Die Zeit in der sie am glücklichsten war, die Zeit in der sie sich selbst Schmerz zugefügt hatte, die Zeit der Verwirrung in der sie Thauron verlassen hatte. Aber auch die Erinnerungen an seine leeren Worte, um sie zu kämpfen, und die Zeit, als sie zuletzt mit Thauron hier sass, zehn Schritte von der stelle, an der sie sich nun zwischen den Bäumen verbarg, als er ihr sagte dass er sie noch immer liebte, dass er Sophia nur heiratete, um sie vor einem anderen, schlimmeren Schicksal zu bewahren, dass er sie immer lieben würde und seine Zukünftige zwar mochte und respektierte, aber nie so für sie empfinden können würde wie er es für Ardela tat.
An diese Worte hatte sie sich geklammert, sogar den Vorschlag in Erwägung gezogen, seine Geliebte zu werden. Diese Worte waren es einzig, aus denen sie immer wieder Hoffnung nahm, die Kraft weiter zu machen, weiter zu leben. Hoffnung es würde alles gut, Hoffnung er würde es sich doch noch anders überlegen, Hoffnung es gäbe noch eine Zukunft für ihre Liebe. Alle Hoffnung war erloschen an dem Tag an dem sie von der Hochzeit hörte und damit jeder Wille zu leben.
Ihr Blick lang ruhig auf dem Platz, der für sie ein ganz besonderer war, zehn Schritt vom dichten Unterholz entfernt, in ihrer Vorstellung sah sie sich mit ihm da sitzen und sie schloss die Augen. Sie hatte keine Tränen mehr, nicht einmal mehr Schmerz.
Erst konnte sie gar nicht einordnen woher die Stimmen kamen, das Lachen, die fröhliche Musik. Sie rutschte etwas näher an den Waldrand zur Lichtung hin, lugte durch die Äste eines Busches und ihr Atem stockte. Da sass er, lachte unterhielt sich, hielt die Hand dieser Frau. Ein Geräusch, schnell duckte sie sich noch tiefer hinter den Büschen, ohne links und rechts zu sehen huschte Esmeralda gen der Festtafel.
Doch da spürte sie, dass der Zeitpunkt gekommen war. Sie kroch aus ihrem Versteck, es musste jetzt sein, und sie hatte keine Möglichkeit dieses zu ändern.
Der Dolch fand sich wie von selbst in ihrer Hand, ohne zu zögern führte sie ihn mit beiden Händen an die Brust, genau auf jene Stelle, unter der das Herz noch kräftig schlug. Sie schloss die Augen und flüsterte leise: „Der Packt sei besiegelt!“ und ohne zu zögern, ohne auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, trieb sie die spitze, rasiermesser-scharfe Klinge in ihr eigenes Herz.
Sie sackte nach hinten auf die Matten und Kissen, zog wohl in dieser Bewegung den Dolch wieder aus der Brust, der irgendwo neben ihr auf den Boden fiel, und bei ihrem letzten Atemzug wurde ihr bewusst was geschehen war. Der erste wirklich klare Gedanke, seit sie das Buch zum ersten male erblickt hatte, rasste durch ihren Kopf … zu spät.

Wie zum Zeichen materialisierte sich zu ihren Füssen ein kleines, tiefschwarzes Pentagramm.

Ardela Galis

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